Gründer entdecken die Fehlerkultur
Scheitern gehört zum Geschäft
Berlin ist mit der größten Gründerszene in Deutschland die inoffizielle Hauptstadt der Startups. Berliner Politiker werden daher nicht müde auf die hohe Zahl der Neugründungen und die damit verbundene Innovationskraft der Stadt hinzuweisen. Ein Defätist könnte jedoch einwenden, dass Berlin bei den Firmenschließungen ganz weit vorne ist, weil schließlich die Mehrheit der Startups die ersten drei Jahre nicht überlebt. Der Defätist hat ebenfalls Recht, da auch das Scheitern auch zum Geschäft gehört. Experten für Beteiligungskapital gehen davon aus, dass neun von zehn Unternehmensgründungen scheitern. Über das Scheitern schweigt man jedoch lieber, auch bei jungen Gründern.
Doch bei diesem Thema werden wir, eher dem Perfektionismus anhängenden Deutschen, schon etwas gelassener und entwickeln derzeit eine neue Fehlerkultur. Gescheiterte Gründer treffen sich nicht mehr nur in Selbsthilfegruppen (z.B. den Anonymen Insolvenzlern) oder in anonymen Internetforen, sondern zelebrieren in einigen Großstädten neuartige Events. In sogenannten FuckUp Nights erzählen Gründer, weshalb sie unternehmerisch gescheitert sind. Für einige der vielen, oft hippen Gäste ergeben sich therapeutische Effekte und andere erfreuen sich einfach über amüsante Anekdoten. Für viele Zuschauer bringen diese Events jedoch außerordentliche Lerneffekte, da typische Fehler bei Startups dargestellt werden. Die Veranstalter wollen darüber hinaus eine neue Kultur des Scheiterns etablieren. Der neue Tenor lautet: „gründen, scheitern, weitermachen“.
Was sind die häufigsten Gründe für das Scheitern?
Für das frühzeitige Aus von Startups kommen in der Regel viele unterschiedliche Ursachen zusammen. Das US-Unternehmen CB Insights untersuchte im Jahr 2014 insgesamt 101 gescheiterte Startups und erstellte ein Ranking der 20 häufigsten Gründe. Hier die TOP 3:
- Fehlende Nachfrage
„No Market Need“ ist 42% der mit Abstand am häufigsten genannte Grund. Die Nachfrageanalyse wurde nicht ausreichend intensiv durchgeführt. Wenn kein Bedarf für das Produkt am Markt besteht, kann sich kein Erfolg einstellen. Das Bestätigungen von Freunden und Familienangehörigen, die aus Höflichkeit dem euphorischen Gründer erklären „Finde ich eine super Idee! Das würde ich kaufen.“ darf die fundierte Marktrecherche keinesfalls ersetzen. Eine falsche Markteinschätzung resultiert oft aus den unzureichenden Branchenkenntnissen der Gründer.
- Keine ausreichende Finanzierung
Vielen der untersuchten Startups (29 %) ging einfach das Geld aus; manchmal trotz oder sogar wegen erster Erfolge. Da vielen Gründern ein kaufmännisches und betriebswirtschaftliches Basiswissen fehlt, ist der Businessplan nicht selten realitätsfern. In der Finanzplanung werden oft wesentliche Positionen, wie die eigenen Gehälter, Versicherungsgebühren, Marketingkosten etc. schlichtweg vergessen und Umsatzerlöse zu optimistisch eingeschätzt. Selbst wenn in einer ersten Runde eine ausreichende Startfinanzierung (z.B. Förderprogramme für Existenzgründer, KfW, Crowdfunding, Business Angels, Eigenkapital etc.) zustande gekommen ist und sich ein Wachstum einstellt, wird regelmäßig der Business Plan nicht fortgeschrieben. In der Expansionsphase wird sich dann zu wenig um eine Anschlussfinanzierung oder ein Controlling gekümmert. Gründer bereiten sich oft auch nicht auf verschiedene Unternehmensverläufe vor. Wenn beispielsweise am Ende der Startphase die Marktreife des Produkts immer noch nicht erreicht wurde, stellen sie plötzlich fest, dass dies eine Anschlussfinanzierung erheblich erschwert.
Nicht allen Startup-Gründern ist klar, dass sie nicht nur Erfinder und Entwickler sind, sondern in Personalunion auch Manager, die ein Unternehmen kaufmännisch, juristisch und personell führen müssen. Aus kreativen Köpfen mit wissenschaftlich-technischem, sozialwissenschaftlichem oder auch künstlerischem Hintergrund müssen vergleichsweise schnell professionelle Geschäftsführer werden, die sich mit betriebswirtschaftlichen Themen wie Finanzierung und Kalkulation beschäftigen müssen. Der kaufmännische Bereich wird sehr regelmäßig stiefmütterlich behandelt wird, weil sich kein Kreativer in die unbekannten Niederungen des Finanz- und Rechnungswesens begeben möchte.
- Probleme innerhalb des Gründerteams
Schon an dritter Stelle der häufigsten Ursachen für das Scheitern von Startups steht das Team selbst. Immerhin 23 % der befragten Unternehmen gaben an, schwerwiegende Probleme innerhalb des Gründerteams gehabt zu haben. Anders ausgedrückt: Das Gründerteam hat nicht zusammengepasst.
Um die verschiedenen und anspruchsvollen Anforderungen an die Führung eines Unternehmens erfolgreich zu bewältigen, kann eine Gründung im Team sehr vorteilhaft sein. Im Idealfall sollte ein Gründungsteam daher
- eine gemeinsame Vision haben,
- komplementäre Fähigkeiten besitzen,
- offen und effektiv kommunizieren,
- sich gegenseitig motivieren und inspirieren,
- Zuständigkeiten und Verantwortung sinnvoll aufteilen und
- gemeinsam aufkommende Probleme lösen.
Ein Team aus einem Ingenieur, einem Juristen und einem Betriebswirtschaftler, die alle unterschiedliche Soft Skills besitzen und geordnet, harmonisch und motiviert das gleiche Ziel verfolgen, könnte somit die perfekte Runde bilden. In der Realität sieht es jedoch regelmäßig anders aus. Das Team kann bezogen auf die fachlichen Hintergründe recht homogen sein, da sich die Gründer in vielen Fällen an der gleichen Fakultät einer Hochschule kennen gelernt oder zusammen im selben Bereich einer Firma gearbeitet haben. In heterogenen Teams stoßen mitunter sehr unterschiedliche Denkweisen aufeinander, die fruchtbar und problematisch zugleich sein können.
Auch die einvernehmliche Aufteilung in Zuständigkeitsbereiche funktioniert nicht immer, weil insbesondere bei gleichem fachlichen Background der Gründer niemand Kompetenz in seinem Wissensgebiet abgeben möchte. So kann es vorkommen, dass alle Gründer immer für alles zuständig sind. Alle Gründer sind am liebsten CEO und nicht nur CFO oder COO. Das birgt zum einen ein erhebliches internes Konfliktpotential und zum anderen die Gefahr, dass niemand ihm fachfremde Bereiche übernehmen möchte. Wichtige Geschäftsbereiche werden dann gelegentlich vernachlässigt, z.B. das Finanz- und Rechnungswesen, das Marketing oder der Vertrieb, was den Erfolg des jungen Unternehmens gefährdet.
Wenn das leitende Management eines Startup keine klaren Strukturen und Zuständigkeiten schafft, kann der Vorteil der Schnelligkeit wieder verloren gehen, weil wichtige Entscheidungen und Maßnahmen wegen einer scheinbar geringen Priorität, gefühlten Nichtzuständigkeit oder einem ungeklärten Dissens liegen bleiben. Hier entstehen dann sowohl Informations- als auch Entscheidungsdefizite. Aufgrund einer wenig entwickelten Konfliktkultur werden nur noch Themen vorangetrieben, bei denen ein Konsens vorliegt. Aber selbst eine vernünftige Bereichsaufteilung kann problematisch werden, wenn bei den Verantwortlichen ein Bereichsdenken einsetzt und keine adäquate Kommunikation mehr zwischen den Gründern stattfindet. Formelle Geschäftsführersitzungen mit Agenda, Ergebnisprotokoll und Erledigungsliste mit Verantwortlichen und Terminen erscheinen vielen hippen Gründern als zu old fashioned.
Aus Fehlern lernen und den Unternehmermut nicht verlieren!
Jeder Gründer sollte immer an seinen Erfolg glauben, jedoch tief im Hinterkopf haben, dass er Fehler machen wird und schlimmstenfalls auch scheitern könnte. Was aber tun, wenn man als ideenreicher Jungunternehmer mit seiner ersten Gründung keinen Erfolg hatte? Die positive Einstellung nicht verlieren, nicht in eine Risikoaversion verfallen und vor allem aus seinen Fehlern lernen, sind die Antworten.
Eine Fehleranalyse kann Wunder bewirken und erhöht zusammen mit den allgemein gesammelten Erfahrungen und Erkenntnissen die Chance auf einen Erfolg mit der nächsten Gründungsidee. Es gibt zahlreiche prominente Beispiele, in denen Gründer erst in späteren Versuchen erfolgreich waren. Max Levchin, Mitbegründer und ehemaliger CTO des führenden Online-Bezahldienstes PayPal hat freimütig erklärt, dass erst sein viertes Startup überlebte und PayPal seine fünfte Gründung war. Seine Ausdauer und Standup-Mentalität hat sich jedoch ausgezahlt. Im Oktober 2002 wurde PayPal von eBay für 1,5 Milliarden US-Dollar erworben.
Es bedarf aber noch einer neuen Denkweise sowohl in der deutschen Gründerszene auch in der deutschen Gesellschaft, die das Scheitern nicht als Makel betrachtet, sondern als eine neue Chance besser zu werden. Die Fuckup Nights in der deutschen Gründerszene sind ein guter Anfang. In den USA hat sich schon eine deutlich positivere Fehlerkultur verbreitet. Dort feiern Gründer den Untergang ihres Unternehmens bereits auf Failure Partys und laden Freunde und Kollegen dazu ein. Eine solche Einstellung würde dazu beitragen, dass unter den gescheiterten Startups in Deutschland keine Talente verloren gehen, wenn einige von ihnen den Weg des freien Unternehmertums mutig weiterbeschreiten.
„Im Leben gibt es etwas Schlimmeres als keinen Erfolg zu haben: Das ist, nichts unternommen zu haben.“ (Franklin D. Roosevelt, 32. US-Präsident)